Seppli-Musik von Josef Metzger

Jenische Musikerfamilie Metzger aus Trin

Motivation Familienbezug

Meine Urgrossmutter Anna Bühler-Metzger ist eines von sieben Kindern von Maria und Martin Metzger-Erni aus Trin und die Frau von Johann Bühler aus Almens. Sie sind wiederum die Eltern von meinem Grossvater Johann-Georg Bühler.  Meine Mutter Marietta Hofer-Bühler ist die zweitjüngste Tocher der sieben Kinder von Johnann-Georg und meiner Grossmutter Anna Bühler-Biechler aus Almens.

Meine Urgrossmutter Anna Bühler-Metzger wurde in Almens "d'Gigeri" genannt. Diesen Übernamen bekam sie aufgrund ihrer Abstammung aus einer jenischen Musikerfamilie. Obwohl sie selber kein Instrument spielte, hatte sie die Musik im Blut und war in Almens jeweils für Tanz-Freinächte und Festwirtschaft zuständig. Auch meine Grosseltern, Tanten und Onkel und Eltern liebten und lieben die Musik und das Tanzen.


Allgemeine Zusammenfassung

Die jenische Musikantenfamilie Metzger gehört mit den Musikerfamilien Majoleth, Waser, Kollegger, Huser usw. zu den Ursprüngen der Bündner Volksmusik. Für diese jenischen Familien war es für das Überleben wichtig,  die Familienfertigkeiten und Talente an die nächste Generation weiter zu geben, weil sie keinen Grundbesitz besassen. Somit war das Musizieren nicht nur Lust und Freude sondern Arbeit und Einnahmenquelle. Tanz und Freinächte fanden im Normalfall im Winter statt, weil die bäuerliche Bevölkerung dann etwas mehr Zeit hatte. So tourten sie zu Fuss im Winter die Mittelbünden und Unterland und marschierten im Frühling ins Engadin um dort für die reichen Zuhörer in St. Moritz aufzuspielen, welche auch im Sommer das Tanzbein schwingen konnten. Eine Freinacht begann am Samstag Mittag und endete am Sonntagabend ggf. Montag morgen. Die Musiker spielten durch und hatten kurze Pausen für das Nötigste. Weil viele Musiker Autodidakten waren, konnten sie keine Noten lesen und spielten alles auswendig. Die Musik musste grooven damit dazu getanzt werden konnte. Es brauchte aber auch die entsprechenden Charakteren fürs Entertainment. Die Metzgers scheinen über die Generationen einige talentierte Musiker und Entertainer hervorgebracht zu haben, was sie über einige Jahrzehnte ab ca. 1850 bis 1920 zu  einer gefragten Tanzmusik im Bündnerland aber auch im Unterland bis nach Basel, Bern und Zürich machte. Ihre Formation nannten sie aufgrund des ersten begnadeten Bandleaders Joseph Metzger-Markgraf "Seppli-Musik". Dieser Begriff wurde zusammen mit der "Fränzli-Musik" der Wasers und natürlich auch anderen hervorragenden Formationen zum Synonym der Bündner Volksmusik. Erst später in den 1930-er Jahren wurde der Begriff "Ländlermusik" aus dem Unterland über das neue Medium Radio importiert. Dies war dann auch der Anfang vom Ende der Tanzmusik-Formationen, weil die Musik nun nicht mehr live gespielt werden musste. Das Notenheft "Alte Bündner Tänze" von ca. 1916, welches 47 Tänze aus der Repertoire der Seppli-Musik enthält gilt als das erste gedruckte Notenheft mit Bündner instrumental Volksmusik.


Quellen

Alle diese historischen Informationen und vieles mehr sind hervorragend recherchiert und veröffentlicht in Rico Peters Grundlagenwerk "Ländlermusik". Heinz Brunner hat in seinem Buch "Mit Klarinette, Schwyzerörgeli und Geige" nochmals weitere wichtige Details und Hintergründe zusammengetragen. Zusätzliche Informationen findet man im Lexikon der Schweizer Volksmusikanten von Ernst Roth sowie dem jüngsten Werk mit Fokus Engadin "Las Melodias dals randulins" von Jachen Erni, Anna Miller und Markus Brühlmeier.

Letzteres ist ein liebevolles Gemeinschaftswerk der Musikantenfamilie "Chapella Erni", welche über Martin Metzger-Erni und sein Frau Maria mit der Metzger-Dynastie verwandt ist. Dieses Buch ist immer noch erhältlich und kann allen Musik-Interessierten und Heimweh-Engadinern nur wärmstens empfohlen werden. Die anderen Grundlagenwerke gelten leider als vergriffen. Die Inhalte von Heinz Brunner können aber in den Bündner Jahrbücher auf e-periodica nachgelesen werden und die Inhalte von R. Peter und E. Roth auf der hervorragenden Volksmusikseite: https://sammlung.volksmusik.ch.


Ungereimtheiten

Die Recherche der Familiengeschichte Metzger gestaltet sich sehr schwierig einerseits, weil die Vornamen Martin und Josef konsequent weitergegeben wurden, andererseits weil der Bürgerort eher zufällig vergeben wurde und die Wohnorte wechselten. Deshalb haben sich in den Grundlagenwerken Ungereimtheiten eingeschlichen, welche nicht plausibel sind aber die enorme Arbeit meiner Vorgänger in keiner Weise schmälern soll. In grosser Dankbarkeit für die Leistungen von. R. Peter, H. Brunner,  E. Roth und  J. Erni versuche ich meine eigene Recherche mit dem Wissen meiner Vorgänger zu kombinieren.


Meine These zur Geschichte der Sepplimusik

Folgende These ergibt meine Kombination aus alten und neuen Fakten und Annahmen aus logischen Abhängigkeiten:

Die jenische Familie Gebhard Metzger ist im 18. Jahrhundert wahrscheinlich aus dem Raum Siebenbürgen über Österreich, Südtirol und Deutschland (Tettnang) in die Schweiz eingereist. Ich gehe davon aus, dass Gebhard Metzger (geb. ca 1730) mit seinen zwei Söhnen Joseph (1) (geb. ca. 1760) und Martin (1) (geb. 01.01.1776) ca. 1778 in die Schweiz einreiste und wurde gemäss H. Brunner bei Haldenstein zum ersten Mal sesshaft.  Seine 1. Ehefrau und Mutter der beiden Söhne Anna Maria Metzger-Mangelin aus Bruneck im Südtirol ist wahrscheinlich auf der Reise verstorben. Gebhard heiratete 1778 ein zweites Mal eine Catherina Metzger-Marbenas und hatte vier Kinder wobei anzunehmen ist, dass die beiden Mädchen Christina und Anna Barbara von der 2. Frau abstammen. Gemäss H. Brunner scheint er ein begabter Musikant gewesen zu sein. Er konnte mehrere Instrumente spielen und es ist anzunehmen, dass die Familie durch diese Tätigkeit ihren Lebensunterhalt finanzierte. Von Sohn Joseph (1) ist nichts bekannt. Der zweite Sohn Martin (1) erhielt am 26.04.1817 das Bügerrecht in der Gemeinde Cauco im Calancatal. Er war verheiratet mit Catherina Metzger-Markgraf und war im Jahr 1828 wohnhaft in Araschgen . Sein Beruf wird als Musikant angegeben. Gemäss H. Brunner und R. Peter habe er mit seinen beiden Söhnen Joseph (2) Metzger-Markgraf (13.09.1817 - 17.01.1876, welcher nachfolgend als Seppli (1) bezeichnet wird) und Martin (2) (Name ist angenommen weil über ihn nichts bekannt ist (geb. ca. 1820)) in der Kapelle des Giigerhannes (Johann Majoleth) gespielt. Gemäss E. Roth müsste dies um 1840 gewesen sein. Mein Urururgrossvater Martin (2) muss auch wieder zwei Söhne gehabt haben, welche natürlich auch wieder Josef (3) (welcher nachfolgend als Seppli (2) bezeichnet wird und wahrscheinlich am 26.12.1843 geboren wurde) und Martin (3) Metzger-Erni, welcher der Vater meiner Urgrossmutter Anna ist. Es ist wahrscheinlich, dass Martin (2) auch weiter Söhne hatte (Fritz und ggf. Karl allerdings ist über sie nichts bekannt).  Seppli (1) und sein Neffe Seppli (2) müssen begnadete Musikanten und Entertainer gewesen sein. Es scheint daher nur logisch, dass Seppli (1) nach der Zeit mit Giigerhannes um 1850 als er schon weitherum als Musikant bekannt war, eine eigene Formation begründen wollte. Ich nehme an, dass Anfangs auch sein Bruder Martin mitspielte und später mit dessen Sohn Seppli (2) ergänzte/ersetzte. Diese Formation wurde als Seppli-Musik bekannt. Anfangs spielten die zwei Geiger Mittner und Scherrer mit. Diese wurden später durch Familienmitglieder der Metzgers ersetzt. So kam auch mein Ururgrossvater Martin (3) Metzger-Erni (Bruder von Seppli (2)) in die Kapelle, welcher dann später um 1900 die Kapelle mit seinen Söhnen komplettierte.  Es ist durchaus möglich, dass auch sein Bruder Fritz Metzger und ggf. ein weiterer Bruder bereits in  dieser 1. Formation mitspielte. Über die Nachkommen von Seppli (1) und Seppli (2) ist nichts bekannt. Seppli (1) verstarb 59 jährig an einer Freinacht in Churwalden und wurde auch dort bestattet. Nach seinem Tod machten die Brüder Seppli (2) und Martin (3) und wahrscheinlich auch Fritz und Karl weiter mit der 2. Formation der Seppli-Musik.

Die Formationen der Seppli-Musik hatten viele Engagements. Im Archiv der Bündnerzeitungen konnte ich über 50 Inserate zur Seppli-Musik in der Zeit von 1880 bis 1920 finden. Es ist anzunehmen, dass dies nur ein Bruchteil der Engagements darstellt, welche die Sepplis über die Jahrzehnte hinweg gespielt haben.

Es gibt gemäss den genannten Standardwerken viele Geschichten zu den Wanderschaften und Auftritten der Seppli-Musik wie z.B.: Die Geschichten über das Ableben von Seppli (1) an der Freinacht in Churwalden 1876, die langen Fussmärsche und das Gestreite wer beim Marsch was tragen musste, eine Schlägerei an einer Freinacht bei der die Instrumente arg in Mitleidenschaft gezogen wurden, der Zwischenhalt jeweils in Bergün mit Freinacht, die Sommerzeit im Engadin als sie jeweils in einer Hütte am Stazersee hausten und neben den Auftritten Geld dazu verdienten mit Fischen, Bergführer, Jagdbegleiter oder Silbermänteli sammeln auf der Alp oder der grosse Showdown der Klarinettenmeister im Herbst 1899 in Sargans als Seppli (2), Lorenz Mayoleth und der blinde Werner Meier mit ihren Kapellen in einer Art Voice of Switzerland gegeneinander antraten und drei Mal in die Verlängerung mussten, weil kein Sieger erkoren werden konnte. Nebst der Einreisegeschichte und dem Leben als Jenische und Bürger 2. Klasse in der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert wäre dies bereits genug Stoff für einen Hollywood-Blockbuster. Es gibt aber noch mehr...


Meine These zum Notenheft "Alte Bündner Tänze"

Neben dem Fakt, dass die Familie Metzger die Volksmusik des Kantons Graubünden massgeblich mitgeprägt hat, hat sie auch das erste gedruckte Notenheft mit instrumentaler Volksmusik des Kantons Graubünden hervorgebracht. Das Oiriginal des Notenhefts "Alte Bündner Tänze" ist verschollen und auch das Verlagshaus R. Fantuzzi in Milano gibt es schon lange nicht mehr. In der Kopie des Hefts, welches ich verdankenswerter Weise von Jachen Erni erhalten habe, ist auch kein Publikationsdatum enthalten. Die Recherche von M. Brühlmeier ergab, dass das Heft wahrscheinlich im Dezember 1916 (gemäss H. Brunner 1917) publiziert wurde. Wann und wie es zu diesem Notenheft gekommen ist, wird teilweise im Klappentext erklärt. Demnach wollte Seppli (3) ein Grossneffe von Seppli (1) nach Amerika auswandern und der Nachwelt die Melodien der Seppli-Musik erhalten. Er muss demnach als Nachfolger von Seppli (2) in der Seppli-Musik musiziert haben und muss demnach ein Sohn von Martin (3) gewesen sein. In den Passagierlisten des Staatsarchivs Hamburg wird ein lediger 26-jähriger Josef Metzger mit Beruf als Bäcker-Geselle aus der Schweiz geführt der mit einem Ticket  3. Klasse auf dem Dampfschiff President Grant am 14.09.1907 von Hamburg nach New York ausgereist ist. Somit muss Seppli (3) die Melodien 1907 oder vorher dem Professor Arrigo Pedrollo vorgespielt haben, so dass dieser diese notieren und arrangieren konnte. Wie es zu dieser Kooperation nach Norditalien gekommen ist, bleibt unklar. Da die Metzgers einerseits Verwandtschaft im Engadin hatten und andererseits den Sommer über dort verbrachten, wäre eine Verbindung über die "randulins" gemäss dem Buch von Jachen Erni nicht unwahrscheinlich.

Seppli-Musik aus Trin ca 1891 (Quelle:
Bild von Hoffmann Camill (1861-1932), ehemaliger Pfarrer aus St. Moritz, bei Sils Baseglia im Engadin Richtung Piz Corvatsch gesehen
Quelle: Kulturarchiv Oberengadin, Chesa Planta, 7503 Samedan